Rede zum Haushalt 2023 im Rat am 22.12.2022

Ein Alleinstellungsmerkmal zu besitzen ist selbst auf kommunaler Ebene für eine Linksfraktion nichts Besonderes. Im Gegenteil, meistens legen wir Wert darauf. Es umzusetzen ist allerdings manchmal nicht ganz so einfach, zumal in Ausschüssen, in denen wir mit nur einem Mitglied vertreten sind und es allein gegen alle anderen votieren muss.

Nachdem wir 2008 erstmals in den Rat gewählt wurden, haben wir oft auch gegen den Haushalt gestimmt. Wenn ich mich recht erinnere, nicht selten als einzige Fraktion und meistens, weil wir von Anfang an – auch darin allein – gegen das Riesenprojekt des neuen Stadthafens waren. Das sind wir noch immer, auch wenn es inzwischen in Beton gegossen ist. Dieser Hafen, der trotz seines Namens laut Definition im Duden noch immer keiner ist, wird die Stadt allein im nächsten Jahr um die 400.000 Euro kosten, davon rund 130.000 Zinsen für die aufgenommenen Kredite. Betriebswirte nennen so etwas eskalierendes Commitment, das vor allem einem Ziel dient – nicht eingestehen zu müssen, dass es sich um eine Fehlinvestition handelt. Inzwischen wird nur noch investiert, um Zuschüsse nicht zurückzahlen zu müssen …

Und wie damals fällt es schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass der neue Hafen, der eigentlich nur ein mit Schlick und Elbwasser gefülltes Becken ist, vor allem der Aufwertung eines gehobenen
Wohnumfelds dient, anstatt für die Stadt Einnahmen zu erzielen. Verstärkt hat sich dieser Eindruck spätestens, seit die Stadt sich veranlasst sieht, dort statt vorgesehener und wohl auch schon gekaufter Bäume nun solche zu pflanzen, die den Blick der Anwohner weniger trüben. Wahrlich eine ganz spezielle „freiwillige Leistung“, mit der die Stadt „über ihre Verhältnisse lebt“, um die Verhältnisse einiger weniger zu bewahren.

Sehen Sie es mir nach, wenn ich der Versuchung nachgebe, dieser bemerkenswerten Rücksichtnahme ein städtisches Vorhaben auf der anderen Seite Wedels entgegenzustellen. Eines, bei dem Anwohner erfahren mussten, dass sie schon viel länger, als es den neuen Hafen gibt, an nicht erschlossenen Straßen wohnen und für ihre verspätete Ankunft in der stadtplanerischen Zivilisation mit bis zu fünfstelligen Beträgen zur Kasse gebeten werden sollen. So unterschiedlich kann eine Alleinstellung in einer kleinen Kommune ausfallen …

Keine Ahnung, wie ich gerade in diesem Kontext darauf komme, aber der englische Ausdruck für Alleinstellungsmerkmal lautet Unique Selling Point, und das Konzept wurde nicht zufällig in einer New Yorker Werbeagentur für die Marketingstrategie von Unternehmen erfunden, bevor es auf dem politischen Markt eingesetzt wurd
Jedenfalls hat sich meine Fraktion ein ganz neues, auch uns selbst überraschendes Alleinstellungsmerkmal erworben, indem sie im letzten Haupt- und Finanzausschuss als einzige Fraktion für den heute vorgelegten Haushalt gestimmt hat. Die anderen Fraktionen haben sich geschlossen enthalten. Einige haben dies vermutlich als Verfahrensrüge gegenüber der Verwaltung getan und damit einen symbolischen Tadel für mangelnde oder verspätete Information der Politik zu Protokoll gegeben.

Wir haben dem Haushalt dort zugestimmt und werden es auch heute tun, weil die finanzielle Situation der Stadt zu einem beachtlichen Teil auf alten Entscheidungen der Politik beruht, die den städtischen Haushalt auf Jahrzehnte hinaus belasten. Genannt seien hier nur die Badebucht und die sogenannte maritime Meile. Hinzu kommen in diesem Jahr der Zahlungsausfall der Stadtwerke und der Stadtsparkasse. Beides wohl von Politik und Verwaltung nicht zu verantworten oder zu beeinflussen, sieht man in diesem Zusammenhang mal davon ab, dass wir – was in anderen Bundesländern von den Rechnungshöfen scharf kritisiert wurde – auf eine Gewinnausschüttung unserer Sparkasse verzichtet, ihr aber gleichwohl an der Doppeleiche ein gewaltige Investition ermöglicht haben.
Nur am Rande bemerkt sei hier, dass wenigstens meine Fraktion es befremdlich findet, wenn man vereinbarte Zahlungen an die Stadt einstellt und zugleich für die Gründung einer kleinen, feinen Privatschule mit einem weit über Wedel hinausreichenden Einzugsgebiet 40.000 Euro spendet, während die Stadt als Träger von drei öffentlichen Grundschulen und drei weiterführenden Schulen vor erheblichen finanziellen Herausforderungen steht. Auch diese sind ein gewichtiger Bestandteil des Haushalt 2023 und für uns ein guter Grund, ihn zu verabschieden.

Der Weg zu diesem Haushalt war beschwerlich und nicht so, wie die Politik in sich idealerweise vorstellt. Für manche war er so anstrengend und langwierig, dass sie das Ziel aus den Augen verloren zu haben scheinen. Aber in diesem Fall ist der Weg eben nicht das Ziel, sondern – anders als bei Konfuzius – einfach nur eine notwendige zurückzulegende Strecke.

Dieser Haushalt ist der erste nach der Wahl des neuen Bürgermeisters und der letzte vor der Wahl des neuen Rats. Bei aller legitimen und berechtigten Kritik am nicht immer reibungslosen
Zusammenwirken von Verwaltung und Politik – der Haushalt ist und bleibt die Grundlage der unverzichtbaren und möglichst gerechten kommunalen Daseinsvorsorge für die Einwohner Wedels. Als solcher ist er gerade in so schwierigen Zeiten wie diesen zu bedeutsam, um als Instrument einer rathausinternen Disziplinierung oder Projektionsfläche eines beginnenden Wahlkampfs zu dienen. Wir stimmen ihm nicht zähneknirschend oder mit Bauchschmerzen zu, sondern mit einem nachdenklichen Stirnrunzeln.

Dr. Detlef Murphy

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