Warum verzichtet Ihre Fraktion darauf, einen eigenen Bürgermeisterkandidaten ins Rennen zu schicken?
Laut Artikel 21 des Grundgesetzes „wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Dies können sie auch und vor allem durch die Teilnahme an Wahlen tun, aber sie haben eben kein Monopol darauf. Eine gemeinsame Kandidatin der „Haushaltsmehrheit“ von SPD, GRÜNE und LINKE hätte eine klare Alternative geboten, aber offenbar reichen die Gemeinsamkeiten dazu nicht aus. Bedauerlich, aber angesichts der Bewerberlage zu verschmerzen. Die Konstellation der (demokratischen) parteilosen Kandidaten, die nun antreten, bildet das Spektrum der im Rat vertretenen Positionen weitgehend ab. Hoffen wir auf eine genauere programmatische Positionierung im Wahlkampf und eine konstruktive Zusammenarbeit des nächsten Verwaltungschefs mit allen Fraktionen und engagierten Bürgern.
2022 soll das Jahr der überfälligen Haushaltskonsolidierung sein. 2023 ist Kommunalwahl. In welchem Maß und wo wird Ihre Fraktion dem Bürger trotzdem die unpopulären Einschnitte und Mehrbelastungen zumuten?
„Unpopulär“ klingt, als ginge es um einen Beliebtheitswettbewerb, aber bei den Sparmaßnahmen steht mehr auf den Spiel. Auf der Vorschlagsliste befinden sich gravierende Einschnitte etwa beim schulischen Ganztag, der Schulkinderbetreuung und der Sozialarbeit sowie die Schließung der Villa. Um diese abzuwenden, hat DIE LINKE dem Haushalt und damit – schweren Herzens – der Erhöhung der Grundsteuer zugestimmt. Die Lasten sollten auf viele Schultern verteilt werden, anstatt sie nur denen zuzumuten, die besonders auf städtische Leistungen angewiesen sind. Viele davon mögen für die Stadt „freiwillig“ und für Teile der Politik verzichtbar sein, werden aber oft „unfreiwillig“ in Anspruch genommen. Wer sich jedes Buch, das er lesen möchte, kaufen kann, braucht keine Stadtbücherei …
Schulbau ist in Wedel offensichtlich ein Fass ohne Boden. Was können/müssen Politik und Verwaltung hier besser machen?
Schulen müssen auch räumlich so ausgestattet werden, dass in ihnen bestmögliches Lernen und Lehren stattfinden kann. Kleine Klassen und ein attraktiver Ganztag sind eine wichtige Voraussetzung dafür. Um eine Überlastung zu verhindern, muss rechtzeitig der Bau einer neuen Schule (etwa in Wedel Nord) in Angriff genommen werden. Ein Schulentwicklungsplan ist dabei durchaus sinnvoll, darf jedoch nicht als Alibi fürs Nichtstun dienen. Ein Plan kostet viel Zeit, in der die Politik versucht sein könnte, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Ein regelmäßig tagendes Gremium, in dem Vertreter von Schülern, Lehrern, Eltern, Verwaltung und Politik sich (weit über die Einwohnerfragestunden in Ausschuss und Rat hinaus) austauschen können, könnte einen wichtigen Beitrag zu einer vorausschauenden Politik leisten.
Die notwendige Sanierung der Finanzen einmal ausgenommen: Was nimmt Ihre Fraktion 2022 besonders in den Fokus?
Die Sanierung auszunehmen ist schwierig, denn sie überschattet alles. Der Finanzierungsvorbehalt stellt nicht nur bisherige Leistungen in Frage, er beschränkt auch den Horizont dessen, was wünschenswert ist. In der Politik war die Not schon immer die Feindin der Vorstellungkraft. DIE LINKE wünscht sich für den Hafen eine kluge Selbstbeschränkung und mehr Fantasie bei der Belebung. Eine Abschaffung des schulischen Ganztags ist mit uns nicht zu machen. Gute Politik ist mehr als die Verwaltung des Mangels.
Corona hat das komplette vergangene Jahr überschattet: Was lief gut, was müssen Verwaltung und Politik machen, um der Pandemie auf lokaler Ebene zu begegnen?
Bei der Bekämpfung der Pandemie bestimmen Bund und Länder die kommunalen Spielräume. In Wedel ziehen die Ratsfraktionen und die Verwaltung hoffentlich auch zukünftig an einem Strang. Bemerkenswert sind Initiativen etwa bei Nachbarschaftshilfe, Sozialverbänden, einer Schulleitung und dem Seniorenbüro. Hier sollte die Stadt mehr tun, um die viel beschworene „Zivilgesellschaft“ zu unterstützen, denn deren Mitwirkung ist unersetzlich.
Dr. Detlef Murphy