Vor 38 Jahren erschienen Christine Brückners „Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ mit fiktiven Monologen von zehn Akteurinnen der Geschichte und Literatur, darunter Theodor Fontanes Romanfigur Effi Briest. Fürs Theater geschrieben, wurden sie vielfach aufgeführt und zu einem Bühnenerfolg.
Die Rede, um die es in diesem Beitrag geht, ist nicht mal annähernd so bedeutsam, wurde zudem von einem Mann verfasst, aber zunächst ebenfalls als „ungehaltene Rede“ entworfen – für die Sitzung des Wedeler Rats am 26.8.2021, in der es um die vorläufig letztmalige Absegnung der Haushaltskonsolidierung – aka Sparprogramm – ging. Dass dem Autor dabei ausgerechnet Christine Brückners Theatermonologe eingefallen sind, liegt nicht nur am „tauben Hund Rollo“ (zu dem Effi Briest dort spricht), sondern auch daran, dass er sich nicht sicher sein konnte, ob er die Rede überhaupt würde halten können – drohte doch erneut ein Eilverfahren ohne große Diskussion der zu beschließenden Sparmaßnahmen.
Aber er durfte sie dann doch halten, sogar ohne die bei einem anderen Redner ob der Länge laut werdenden Unmutsbekundungen bis hin zum (wohl nicht als echter Applaus gemeinten) Auf-den-Tisch-Klopfen. Auch an dieser Stelle vielen Dank für die Geduld. Leider (jedenfalls aus Sicht des Redners) wurde sie außerhalb des Ratssaals kaum wahrgenommen, ein Schicksal dass sie mit vielen Wortbeiträgen (auch anderer) teilt.
Und im Rathaus hat sie (außerhalb des Protokolls) wenig bewirkt, auch dies ein Schicksal, das sie …
… Hier kommt der bereits erwähnte treue Neufundländer von Effi Briest ins Spiel, der dem Redner allzu oft mit seinen großen, aber leider gehörlosen Ohren vor Augen steht, wenn er in einem Gremium das Wort ergreift.
Damit er sich die Mühe nicht völlig umsonst gemacht hat und weil er die Kritik an Verfahren und Inhalt der beschlossenen Sparmaßnahmen für mindestens lesenswert hält, sei die Rede an dieser Stelle noch einmal „abgedruckt.“
Ein Redebeitrag zu den geplanten Haushaltskonsolidierungsmaßnahmen
„Ich möchte mich zunächst nicht inhaltlich zu den Konsolidierungsmaßnahmen äußern, obwohl wir bei einzelnen davon erhebliche Bedenken haben. Ich möchte vielmehr etwas zu dem Verfahren sagen, das gegenwärtig praktiziert und vielleicht sogar von der Verwaltung angestrebt wird, jedenfalls legen deren Beschlussvorlagen das nahe.
Zuerst war es nur einem Antrag aus der Mitte des Rats zu verdanken, dass die Maßnahmen überhaupt in den sachlich zuständigen Fachaussschüssen behandelt wurden. Ich sage „behandelt“, weil eine echte Beratung wohl gar nicht vorgesehen war.
Stattdessen wurden die von der Verwaltung vorgeschlagenen Maßnahmen uns als „Prüfaufträge“ präsentiert, obwohl die Beschlussformulierung deutlich auf eine Entscheidung in der Sache zielte.
Im Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport haben wir leider viel Zeit darauf verwenden müssen, dies zu klären, anstatt uns inhaltlich mit den Maßnahmen zu befassen.
Im Haupt- und Finanzausschuss wurde – eingezwängt zwischen der zweistündigen Strafpredigt des Landesrechnungshofs und dem festgeschriebenen Sitzungsende um 22 Uhr – im Eiltempo bei jedem einzelnen Beschlussvorschlag das magische Wort „Prüfauftrag“ eingefügt.
Welche Konsequenz zog die Verwaltung daraus?
Sie legte für die heutige Ratssitzung einen Sammelbeschluss über alle Maßnahmen vor, bei dem das Wort „Prüfauftrag“ lediglich in der Bemerkungsspalte des Anhang auftauchte. Im Ältestenrat wurde dann erneut das Wort „Prüfauftrag“ in den Beschlusstext aufgenommen. Heute liegen uns nun beide, die alte und die neue Fassung vor.
Eine leider notwendige Bemerkung zum magischen Wort „PRÜFAUFTRAG“:
An und für sich ein durchaus sinnvolles Vorgehen. Aber wen beauftragen wir bei der Haushaltskonsolidierung mit der Prüfung? Diejenige Instanz, die die zu prüfenden Maßnahmen entwickelt, vorgeschlagen und nachdrücklich vertreten hat. Erwartet allen Ernstes jemand, dass die Verwaltung jetzt nach „vertiefter Prüfung“ zu dem Ergebnis kommt, dass eine von ihr selbst favorisierte Maßnahme nun doch nicht erforderlich ist? Von einer Verwaltung, die in der heutigen Vorlage dafür wirbt, eine im BKS-Ausschuss abgelehnte Maßnahme (zu den Schulbibliotheken) wieder in den zu beschließenden Katalog aufzunehmen? Einer Verwaltung, die eine umstrittene Maßnahme (nämlich die wegfallende Besetzung der Auskunft im Rathaus) aus dem Katalog herausgenommen und sie der Mitwirkung der Politik entzogen hat?
Mit Verlaub: Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht.
Es könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass der Bürgermeister, die Verwaltung unbedingt eine angemessene inhaltliche Beratung des Maßnahmenpakets vermeiden möchte. Obwohl es ein umfangeiches Leistungskürzung- und Einnahmenerhöhungsprogramm ist, das viele Menschen in Wedel treffen und belasten wird, soll es – jedenfalls in dieser Phase – im Eiltempo durchgezogen werden, obwohl (oder weil) viele Maßnahmen in der Öffentlichkeit noch gar nicht bekannt sind. Und das, obwohl es viele Menschen in Wedet hart treffen und belasten wird. Das, obwohl angesichts von Corona und den Folgen der Pandemie gerade für Kinder und Jugendliche dies der denkbar ungünstigte Zeitpunkt für Kürzungen bei der Schulsozialarbeit und der sozialpädagogischen Arbeit in den Kitas ist. Um das zu erkennen, muss man nicht gehört haben, was eine Kitaleitung zu den emotionalen und sozialen Folgen der Pandemie bei vielen Kindern ausgeführt hat.
Nach dem HAURUCK-VERFAHREN in den Ausschüssen soll heute das RUCKZUCK-VERFAHREN im Rat folgen.
Dass es – jedenfall bei einzelnen Maßnahmen – aus der Politik Gegenwehr gibt, macht Hoffnung.
DIE LINKE teilt die Auffassung, dass eine Konsolidierung des Haushalts notwendig ist, kann jedoch einzelne, für uns unsoziale Maßnahmen nicht mitragen und hat dies auch deutlich gemacht.
Zudem hat sich die Verwaltung mit dem von ihr angestrebten Verfahren weitgehend durchgesetzt. Daran ändern kosmetische Änderungen der Beschlussvorlagen zu wenig.
Ein HAURUCK- und RUCKZUCK-Verfahren bei einem so einschneidenden Maßnahmenkatalog ist – gelinde gesagt – unglücklich. Allein schon deshalb müssen wir heute mit NEIN votieren.“
Nachbemerkung:
Man hätte diese Rede auch nachträglich verändern können, dann wäre sie tatsächlich eine ungehaltene gewesen. Aber sie ist im Rat so verlesen worden, wie sie hier steht, und bleibt die von manchen wohl ungehörte und für einige vermutlich unerhörte Rede eines ungehaltenen Kommunalpolitikers.
Detlef Murphy