Marlene Dietrich im HFA: Von Bürgermeistern und Reserveoffizieren

Wie Marlene Dietrich und Diederich Heßling im Wedeler HFA am 7. Juni 2021 fast zu einem traumhaften Duell geführt haben.

Schweißgebadet erwacht der Schreiber dieser Zeilen am frühen Dienstagmorgen aus dem unruhigen Schlaf. Er hatte einen historischen Albtraum, in dem er 1. zum Duell gefordert und 2. – jedenfalls ist es so im umnebelten Gedächtnis haften geblieben – als „vaterlandsloser Geselle“ bezeichnet wurde.

Was genau hat er geträumt? Eine mühsame Rekonstruktion ergibt Folgendes: Ein Reserveoffizier fühlt sich durch eine unbedachte Äußerung des Autors in seiner Ehre verletzt und fordert ihn daraufhin zum Duell. Was hatte der Bösewicht getan? Einen Olivenzweig (aus der Bibel) geschwenkt? Eine weiße Taube aus dem Rucksack geholt? Das Motto der kirchlichen Friedensbewegung (auch aus der Bibel) in den Saal gerufen: „Schwerter zu Pflugscharen“?
Antwort einige Absätze weiter.

Der Träumende weist den potentiellen Gegner (unter 1.) darauf hin, dass er einer Partei angehört, die sich 1917/18 wegen der Kriegskredite von einer anderen Partei abgespalten hat, und er daher wohl nicht satisfaktionsfähig ist, woraufhin der Gekränkte auf das Duell verzichtet. Der des Schießens (abgesehen von der romantischen Variante, bei der man auf dem Jahrmarkt einer angebeteten Person eine Blume „schießt“) und Fechtens unkundige Abtrünnige will gerade erleichtert aufatmen („Puuh, das war knapp“), da meldet sich ein anderer (unter 2.) zu Wort und – hier wird der Traum vage – lässt kein gutes Haar an ihm, bezichtigt ihn zudem des ungebührlichen Verhaltens.

Bevor der vermeintliche Übeltäter irritiert nachfragen kann, wird er jäh aus dem Schlaf gerissen, blinzelt ins morgendliche Grauen und schaut auf das Buch, das er vor dem Einschlafen gelesen hat. Statt der bei dem Albtraum naheliegenden Lektüre – „Der Untertan“ (mit Diederich Heßling) oder „Professor Unrat“ – liegt neben dem Bett der übliche Thriller (gern von Grisham). Ersatzweise versucht er sich zu erinnern, ob er vor dem Zubettgehen „Der blaue Engel“ (mit Marlene Dietrich) in den DVD-Player geschoben hat. Ergebnis: auch nicht.

Er fragt sich beim herzlich willkommenen Kaffee, warum er im Traum so weit in die Vergangenheit gereist ist. Beim zweiten Becher kommt ihm endlich die Erleuchtung: Es kann nur daran gelegen haben, dass er am Vorabend an einer denkwürdigen Sitzung des Wedeler Haupt- und Finanzauschusses teilgenommen hat. Diese Erklärung mag zunächst abwegig und weit hergeholt klingen, aber wer dabei war, kann sie nachvollziehen.


Was war im Rathaus nach 19:00 Dramatisches passiert?

Der entscheidende (um nicht zu sagen: traumatische) Tagesordnungspunkt begann ganz harmlos. Die Verwaltung hatte den Text der Ausschreibung für Bewerber bei der Wahl des Bürgermeisters vorgelegt. Ein Ausschussmitglied war mit dem Text nicht einverstanden, weil der Satz, in dem es um die erwünschte Qualifikation geht, zu lang sei. Es (das Mitglied) hatte auch gleich einen Kürzungsvorschlag parat. Im Ausschreibungstext sollte es heißen: „Gesucht wird eine dynamische, zielstrebige, engagierte und verantwortungsbewußte Persönlichkeit mit Erfahrungen in Führungs- und Leitungsfunktionen auf dem Gebiet der öffentlichen Verwaltung, der Privatwirtschaft oder der Vereine und Verbände …“ Die Aufzählung der Erfahrungsgebiete könne man streichen, da sie quasi „alles“ abdecke und daher überflüssig sei.

Das war der Moment, in dem den Autor dieses Textes der Teufel geritten haben muss. Er merkte an, dass die Aufzählung keineswegs „alles“ abdecke, denn da sei ja zum Beispiel auch noch das Militär, das darin nicht enthalten sei und aus dem etwa bei der AfD so mancher Funktionsträger stamme. Im HFA nicht angeführt (da nur im Hinterkopf präsent), aber hier nachgeliefert: Der Bewerber um das Amt des Oberbürgermeisters von Hannover im Oktober 2019 und eine Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl 2021 ist Generalleutnant a. D. (und 2014 aus einer anderen Partei ausgetreten). Oder der ehemalige AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag von Rheinland-Pfalz: Oberstleutnant a.D. (1975-2009 Mitglied einer anderen Partei). Oder der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin: Oberst a.D. (zuvor in keiner anderen Partei.

Der Autor wagte es anzumerken, dass alleinige Führungserfahrung beim Militär (Befehl und Gehorsam) nicht seiner Vorstellung einer hinreichenden Qualifikation für das Wedeler Spitzenamt entspricht, und ergänzte, dass dies auch für die Leitung einer Yoga-Gruppe gilt.

Was dem Reserveoffizier so ehrenrührig erschien, erschließt sich dem Verfasser selbst in der Rückschau nicht – das mit der AfD oder die fehlende Würdigung seiner Führungserfahrung? Der Vergleich mit der Yoga-Gruppe(!!!) wäre naheliegend, kann es aber nicht gewesen sein, denn die wurde erst später ins Feld geführt.

Wie dem auch sei, ein anderes HFA-Mitglied nahm den Disput zum Anlass, an die letzte Ratssitzung zu erinnern, in der der Verfasser seine Kritik an einem Sparvorschlag der Verwaltung (siehe dazu den vorherigen Beitrag auf dieser Seite) mit offenbar ungebührlichem Vokabular vorgebracht hatte. Er hatte den Vorschlag als „Frechheit“ und „menschlich mies“ bezeichnet, statt die dezenteren Begriffe „nicht zielführend“, „nicht hilfreich“ (alternativ, nicht ganz so hart: „wenig hilfreich“), „unpassend“ oder „unangemessen“ zu verwenden. Auch der innere Zusammenhang zwischen dem sprachlichen Sittenverstoß (im Rat) und den Ausführungen zu militärischer Führungserfahrung, AfD und bürgermeisterlichen Qualifikationen (im HFA) wird dem Autor in der Retrospektive jedenfalls nicht klar. Selbst die Befragung eines anwesenden Ohrenzeugen erwies sich als „wenig hilfreich“, denn diesem hatten sich keine Einzelheiten eingeprägt. Vielleicht bringt uns ja das (ergänzte) Sitzungsprotokoll weiter.

Jedenfalls ging es hoch her, aber – gemessen am Albtraum vom Anfang – noch glimpflich ab.
Ach ja, der HFA hat dem Rat empfohlen, ein verbindliches Sitzungsende einzuführen. Schluss ist (wie in letzter Zeit schon ohne Festschreibung in der Geschäftsordnung praktiziert) um 22:00 Uhr MEZ.

Damit bleibt bis zum Morgengrauen reichlich Zeit für Heinrich Mann, Marlene Dietrich und hoffentlich angenehmere Träume …


Detlef Murphy

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